Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot

  • 1966
  • Pappe, Papier, Schokolade mit Ölfarbe (Braunkreuz)
    72 x 20 x 1,5 cm
  • Auflage: 500, nicht signiert, nicht nummeriert; 30 Exemplare der Auflage signiert und nummeriert als Sonderausgabe
  • Herausgeber: Typos Verlag, Frankfurt
  • Werkverzeichnis Nr. 2

Das Multiple Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot besteht aus zwei mit Schreibmaschine geschriebenen Listen, zwischen denen sich ein Stück bemalte Schokolade befindet. Die obere Liste beginnt mit dem Satz „Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot / reisen hin über“. Daran schließt sich eine Aufzählung mit 30 Begriffen an, die mit „Télégraphe“ anfängt und mit „Pyrenées:“ endet. Unter der Schokolade befindet sich die zweite Liste, die mit der Formulierung „zurück / über“ die Vermutung nahelegt, es handle sich um eine Art Rückreise. Abgesehen von der Tatsache, dass die Begriffe der oberen Liste alle auf Französisch sind, lässt sich zunächst keine Gemeinsamkeit zwischen ihnen ausmachen. Die besteht allerdings in der gemeinsamen Herkunft all dieser Begriffe, bei denen es sich um Namen von Pariser Metrostationen handelt. Sehr viel rätselhafter bleibt die zweite Liste, deren Begriffe verschiedene Zeitebenen, Räume und Themen benennen, die unvermittelt und ohne erkennbare Logik aufeinander folgen. Lediglich der letzte Eintrag, „Télégraphe“, greift das Motiv der Reise wieder auf, weil sich diese Station bereits bei der ersten Etappe der Hinreise findet. Doch um was für eine Rundreise handelt es sich hier? Warum besteht sie aus zwei Teilen, die ausgerechnet durch ein Stück Schokolade voneinander getrennt werden?

In einem Interview, das Jörg Schellmann und Bernd Klüser 1970 mit Beuys führten, äußerte sich der Künstler zu diesen Fragen. Der erste Teil der Reise sei eine Art äußere Reise, sogar eine, die „sehr unterirdisch ist“, bei der man „sozusagen in die Materie hineingeht“, erläuterte er. Der zweite Abschnitt spiele sich „im freien Licht“ ab. „Vor allen Dingen tauchen Menschennamen auf. Damit ist gemeint, dass die Reise dann durch die Menschen, eigentlich durch die Seelen geht.“ Die von ihm ausgewählten Namen sind aber keineswegs gewöhnlich, sondern wirken „exklusiv“ – sie klingen „wie Adelsnamen“. Demnach transportieren sie einen bestimmten Wert, der aber nicht dieser Adelswert, sondern „ein zukünftiger Wert“ ist.1 So scheinen hier zwei Stufen einer Reise beschrieben zu sein, die in unterschiedlichen Sphären stattfinden: Die erste in der profanen Wirklichkeit und die zweite im höheren Bereich des Geistigen.

Zwischen den Reiseetappen liegt die Schokolade, die nach Beuys „das leuchtende Brot“ der Arbeit darstellt. Sie ist mit brauner Farbe bedeckt, die Beuys als Braunkreuz bezeichnet. Damit geht ihre Bedeutung über die einer normalen Schokolade hinaus. Für Beuys stellt sie eine Substanz dar, die mit geistiger Energie aufgeladen ist. Demnach lässt sie sich als eine Art Brücke lesen, die zwischen dem profanen und dem geistigen Bereich vermittelt.2 

Vor diesem Hintergrund verweist das Multiple Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot auf den zentralen Anspruch, den Beuys mit der Rolle des Künstlers verbindet: Kreativität fungiert als Vehikel für die geistige Entwicklung des Menschen. Einen solch transformatorischen Prozess durchlaufen auch die beiden Protagonistinnen, indem sie aus dem Untergrund langsam immer höher ins Freie steigen und schließlich die Gipfel der Pyrenäen erreichen. Am Ende der Reise, in deren Verlauf sie mit geistiger Energie aufgeladen wurden, vollzieht sich ihre Rückkehr in die Realität.


  1. Alle Zitate aus: Jörg Schellmann (Hrsg.), Joseph Beuys. Die Multiples. Werkverzeichnis der Auflagenobjekte und Druckgraphik, 1965–1986, München, New York 1997, S. 12. 

  2. Ebda. 

    Foto 1

    © H. Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

    Katalog Museum Mönchengladbach 1967