Silberbesen und Besen ohne Haare
- 1972
- Besen (Holz, Rosshaar), mit 1 mm Silbermantel, 139 x 51 cm
Kupfer massiv, Filz, 130 x 51 cm - Auflage: 20 + IV, „Joseph Beuys“ und Nummerierung in Silberbesen gepunzt
- Herausgeber: Edition René Block, Berlin
- Werkverzeichnis Nr. 62
In den frühen 1970er Jahren begann Beuys, Besen als Werkzeug für symbolische Reinigungsprozesse zu verwenden. Erstmals geschah dies im Dezember 1971 bei der Aktion Überwindet endlich die Parteiendiktatur, einer Demonstration, die sich gegen die Abholzung eines Waldes richtete, an dessen Stelle Tennisplätze errichtet werden sollten. Beuys fegte mit seinen Studenten einen Weg in dem betroffenen Waldstück. Im folgenden Jahr kehrte Beuys am 1. Mai den Westberliner Karl-Marx-Platz mit einem Besen mit roten Borsten, während zwei Helfer den Abfall, der dort nach der Demonstration zum 1. Mai liegengeblieben war, mit einer Schaufel und der Multiple-Tüte So kann die Parteiendiktatur überwunden werden einsammelten. Die Aktion war eine kritische Auseinandersetzung mit dem Marxismus, wie Beuys selbst erläuterte: „Damit wollte ich klarmachen, daß auch die ideologisch fixierte Orientierung der Demonstranten ausgefegt werden muß, nämlich das, was als Diktatur des Proletariats auf den Transparenten verkündet wurde.“1
Silberbesen und Besen ohne Haare entstanden nach dieser Berliner Aktion, stehen aber in keinem Aktionszusammenhang. Entscheidend sind hier vielmehr die von Beuys eingesetzten Materialien und deren symbolische Bedeutung. Silber, mit dem der eine Besen ummantelt wurde, ist seit alters her für seine reinigende Wirkung bekannt, die Beuys immer wieder auch als eine Funktion seiner Kunst sah.2 Diese Eigenschaft, gepaart mit dem Wert des Edelmetalls Silber, hebt den Besen über seinen profanen Zweck hinaus und legt damit nahe, dass seine reinigende Kraft auch in einem ideellen Sinne zu versehen ist. Das gilt fraglos auch für den Kupferbesen, dessen Borsten entfernt und durch eine dünne Filzplatte ersetzt wurden. Die Kombination dieser beiden Materialien Kupfer und Filz verwendet Beuys häufig im Sinne einer Batterie, die geistige Energie speichern und übertragen kann. Meist handelte es sich dabei um größere Stapel von Filzplatten mit einer darauf liegenden Kupferplatte als Leiter. In anderer Form veranschaulicht Der Besen ohne Haare die gleiche Idee. Da der Besen auf dem Boden steht, kann der Filz darüber hinaus auch die in der Erde vorhandenen Energien3 absorbieren und über den Stiel an seinen Benutzer übertragen.
Ebda., S. 292. ↩
Dierk Stemmler, „Zu den Multiples von Joseph Beuys“, in: Jörg Schellmann (Hrsg.), Joseph Beuys. Die Multiples, München, New York 1997, S. 516. ↩
Für Äußerungen von Beuys über diese Energien vgl. Marianne Eigenheer und Martin Kunz (Hrsg.), Joseph Beuys: Spuren in Italien, Luzern 1979, o. S., und „Joseph Beuys im Gespräch mit Caroline Tisdall, 1974“, in: The Secret Block for a Secret Person in Ireland, Tübingen 1988, S. 48. ↩
© H. Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen