Schlitten

  • 1969
  • Holzschlitten, Filz, Gurte, Stablampe, Fett
    35 x 90 x 35 cm. Schlitten gestempelt mit Ölfarbe (Braunkreuz)
  • Auflage: 50 + 5 h.c., nummeriert, nicht signiert
  • Herausgeber: Galerie René Block, Berlin
  • Werkverzeichnis Nr. 12

Das Motiv des Schlittens durchzieht Beuys’ gesamtes Werk. In frühen Zeichnungen taucht er oft als Urschlitten auf und verweist damit auf seine Funktion als eines der ältesten Transportmittel der Menschheit.1 Insbesondere faszinierte Beuys die Unmittelbarkeit dieser Art von Fortbewegung: In diesem Sinne äußerte er sich 1978 gegenüber Caroline Tisdall: „Die direkteste Art von Bewegung über die Erde ist das Gleiten der eisernen Kufen von Schlitten (…).“2 

Häufig hat Beuys den Schlitten als ein Rettungsfahrzeug beschrieben. Diese Funktion hängt mit der legendären Geschichte seiner eigenen Rettung durch Krimtartaren nach seinem Flugzeugabsturz im Zweiten Weltkrieg zusammen. Diese hätten ihn auf einem Schlitten abtransportiert, damit er sich von seinen Verletzungen erholen könne.3 Auch wenn der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte angezweifelt werden darf, ist sie in symbolischer Hinsicht aufschlussreich, weil sie griffige Bilder für zentrale Motive und Materialien in Beuys’ Werk liefert. Dieser Rettungsgedanke steht im Vordergrund des Multiples Schlitten, wie auch in der Arbeit Das Rudel aus demselben Jahr, in der Beuys ebenfalls Schlitten verwendet hat. In dieser Installation sind sie hinter einem VW-Bus aufgereiht, von denen jeder einzelne mit einer zusammengerollten Filzdecke, einer Stablampe und einem kleinen Klumpen Fett ausgestattet ist. Als er Das Rudel 1972 Wulf Herzogenrath erläuterte, merkte Beuys an: „Dort, wo eine Katastrophe geschieht (…), wird man vielleicht nur mit gleitartigen Instrumenten an den Verunglückten herankommen können, nicht mit einem hochentwickelten technischen Bewegungsgerät. Man wird wieder zu primitiven Mitteln greifen müssen in der Not.“4 Auch die Gegenstände, die sich auf den Schlitten befinden – Stablampe, Fettklumpen und Decke – dienen zum Überleben in Notlagen: „Orientierung, Ernährung, Wärmehaltung, also das, was man im Äußersten, (…) auf dem geringsten Lebensniveau braucht, um zu überleben“, so Beuys.5 Das Multiple Schlitten, das mit der gleichen Überlebensration ausgestattet ist, hat demnach dieselbe Funktion wie die Schlitten im Rudel. Im Gegensatz zur Installation kann das Multiple in seiner fünfzigfachen Ausführung aber einzeln ausschwärmen und seiner rettenden Aufgabe viel flächendeckender nachkommen.


  1. Vgl. dazu Ulf Jensen, „Vehikel“, in: Marion Ackermann, Isabelle Malz (Hrsg.), Joseph Beuys, Parallelprozesse, München 2010, S. 220. 

  2. Caroline Tisdall, Joseph Beuys, London 1979, S. 190. Auch die Verwendung von Eisensohlen in einigen Aktionen – beispielsweise in wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965) und Eurasienstab (1967) – weist auf einen solchen Kontakt hin. Für eine Darstellung dieser Aktionen siehe Uwe M. Schneede, Joseph Beuys. Die Aktionen, Ostfildern-Ruit 1994, S. 102–107 und S. 186–201. 

  3. Diese Geschichte wurde erstmals von Caroline Tisdall veröffentlicht, Joseph Beuys, London 1979, S. 16. Eine genaue Darstellung über die Geschichte dieser Rettung und ihre erfundenen und mythischen Elemente findet sich bei Peter Nisbet, „Crash Course. Remarks on a Beuys Story“, in: Gene Ray (Hrsg.), Joseph Beuys. Mapping the Legacy, New York 2001, S. 6–7. 

  4. Beuys in Wulf Herzogenrath (Hrsg.), Selbstdarstellung. Künstler über sich, Düsseldorf 1973, S. 31 

  5. Ebda. 

    Fotos 1, 2

    © H. Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

    Ja Ja Ja Ja Ja, Nee Nee Nee Nee Nee1969 in ‘interfunktionen’ 1969–1971