Schautafeln für den Unterricht I und II
- 1971
- Zwei Fotografien auf Pappe aufgezogen; Tafel I mit Zinkklischee, Schwefel und handschriftlichem Text
je 83 x 105 x 0,6 cm - Auflage: 202 Exemplare geplant, nur 150 fertiggestellt, signiert und nummeriert auf Tafel I
- Herausgeber: Edition Tangente, Heidelberg
- Werkverzeichnis Nr. 31
Das Multiple Schautafeln für den Unterricht I und II zeigt zwei auf Pappe aufgezogene Fotografien, auf denen – grobkörnig und in scharfem Kontrast dargestellt – eine Dünenlandschaft mit einem Betonbau zu sehen ist. Auf der ersten Tafel ist eine graue, metallene Druckplatte befestigt, auf deren unterem Teil Schwefel fixiert ist. Darunter vermerkte Beuys handschriftlich:
OSTENDE / am Strand oder in den Dünen / ein kubusförmiges Haus / darin „Das Samurai-Schwert ist eine Blutwurst“ / SOCKEL
Die Verknüpfung zwischen dem Samurai-Schwert und der Blutwurst, also einer Waffe und einem Lebensmittel, taucht bei Beuys häufiger auf. Er verbindet damit die utopische Vorstellung einer eurasischen Einheit, mit der die politische und geistige Trennung zwischen beiden Kontinenten überwunden werden soll, indem die Spiritualität des Ostens den Rationalismus und Materialismus westlicher Prägung ausgleicht. Die Ortsangabe Ostende bezieht sich auf die belgische Küstenstadt, in der in der Nachkriegszeit noch viele von Deutschen errichtete Bunker und Geschützstellungen an die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs erinnerten. Beuys schwebte eine Wiedergutmachung dieser traumatischen Historie vor, von der er Henning Christiansen 1967 bei einem gemeinsamen Besuch in Ostende berichtete: Er wolle, so äußerte er, einen großen Betonkubusraum unter den Wasserspiegel ins Meer vor Ostende bauen, in dem Das Samurai-Schwert ist eine Blutwurst zu sehen sein sollte.1 Mit symbolischen Mitteln sollte dieses Mahnmal den Ort von seinen historischen Wunden heilen.
Das Thema der eurasischen Einheit klingt auch in der grauen Druckplatte an, die auf der ersten Tafel befestigt ist. Oberhalb einiger Arbeiten von Beuys befinden sich hier vertikale Kolumnen mit japanischen Schriftzeichen. Diese Zusammenstellung verweist einmal mehr auf das heilsame Zusammenspiel der östlichen und westlichen Kultur. Eine zusätzliche Bedeutungsschicht ergibt sich aus dem Schwefel, den Beuys immer wieder als einen Bedeutungsträger für Wärme einsetzte. Da diese in Beuys’ Verständnis auch für die Kraft der Liebe steht, lässt sich die kleine, aber auffällige Schwefelspur als Hinweis darauf deuten, dass die Schautafeln für den Unterricht I und II uns darin unterweisen wollen, die zerstörerischen Energien des Kriegs durch friedliche und aufklärerische Gedanken zu überwinden.
Henning Christiansen, zit. in: Uwe M. Schneede, Joseph Beuys. Die Aktionen, Ostfildern-Ruit 1994, S. 313. ↩
© Mario Gastinger, Photographics, München