Cosmos und Damian gebohnert

  • 1975
  • Postkarten-Druckbogen, auf Graupappe aufgezogen, Schuhcreme
    44,5 x 34,5 x 0,5 cm
  • Auflage: 60 + XV, signiert und nummeriert
  • Herausgeber: Edition Staeck, Heidelberg
  • Werkverzeichnis Nr. 156

Dieser unbeschnittene Korrekturabzug einer Postkarte zeigt vier identische Ansichten von den beiden Türmen des World Trade Center in New York. Die leichten Verzerrungen im Bild liegen an dem zugrundeliegenden Original – einer 3-D-Postkarte, die Beuys 1974 bei seinem ersten USA-Aufenthalt in New York gekauft hatte.1 Für die Umarbeitung in ein Multiple modifizierte Beuys die Karte in zweifacher Hinsicht: Zum einen ließ er sie mit einer gelbstichigen Schuhcreme beschichten, zum anderen schrieb er die Begriffe „Cosmos“ und „Damian“ auf die Fassade der Türme. 

Johannes Stüttgen erinnert sich, dass Beuys die Türme durch diese gelbliche Einfärbung in gigantische Buttersticks (Butter in Form länglicher Blöcke, die in den USA sehr typisch ist) verwandeln wollte.2 Beuys verwendete Butter häufig und sah sie als Träger geistiger Wärme, als Form von Energie, die für ihn eine Quelle für Veränderung und Kreativität darstellte. Das bekannteste Symbol des amerikanischen Kapitalismus mutiert damit plötzlich in strahlende Pfeiler warmer Energie, die die Zwillingstürme des World Trade Center zu Leuchttürmen der Kreativität macht.

Die Begriffe „Cosmos“ und „Damian“ beziehen sich auf zwei Heilige, die im 3. Jahrhundert tätig waren und Kranke unentgeltlich behandelten. Diese Berufung zur Heilung interessierte Beuys, weil die Kunst in seinen Augen ebenfalls über therapeutische Fähigkeiten verfügt.3 Schon in den frühen 1970er Jahren wollte Beuys mit seiner Kunst dazu beitragen, dass sich die Gesellschaft stärker in Richtung einer Gleichberechtigung entwickelt, um vorhandenen politischen Fehlentwicklungen entgegenzusteuern. In diese Richtung weist auch Cosmos und Damian gebohnert: Indem Beuys die Namen dieser beiden Heiligen auf das World Trade Center schreibt, verbindet er sein gesellschaftliches Anliegen mit deren Heilungsmission. Dieser Appell richtet sich zunächst an die amerikanische Gesellschaft, wie die Motivwahl des New Yorker Wahrzeichens nahelegt. Die Tatsache, dass Beuys die Schreibweise des heiligen Cosmas in „Cosmos“ verändert, verdeutlicht aber, dass er mit diesem Appell einen universellen Anspruch verband.


  1. Vgl. die Anmerkungen über Cosmos und Damian in: Jörg Schellmann (Hrsg.), Joseph Beuys. Die Multiples. München, New York 1997, S. 503. 

  2. Johannes Stüttgen, „Vier Visionen“ in: Lucrezio De Domizio Durini (Hrsg.), Beuys Voice, S. 582. René Block betätigt Stüttgens Bericht. Er erinnert sich daran, wie Beuys 1975 in New York äußerte, die Türme des World Trade Center erinnerten ihn in ihren Umrissen und Proportionen an zwei amerikanische Buttersticks. Vgl. René Block, „Aus Berlin: Neues vom Kojoten – oder was wirklich in New York geschah“. Unveröffentlichter Vortrag am K20, Schmela Haus, Düsseldorf, 29. April 2010. 

  3. So äußerte Beuys gegenüber Caroline Tisdall: „Diese ärztliche Partnerschaft von Cosmas und Damian ist ein schönes Beispiel für Freundschaft und Zusammenarbeit.“ In: Caroline Tisdall, Joseph Beuys: We Go This Way, London 1998, S. 33. 

    Foto 1

    © Mario Gastinger, Photographics, München

    Die Leute sind ganz prima in Foggia1974 Mirror–Piece 1975